„Das schönste Fest der Welt“ – Kerala im Pooram-Fieber

REGION/LAND: Thrissur, Kerala, Südindien, Indien
“Indien hat zwei Millionen Götter und verehrt sie alle. Wenn es um die Religion geht, sind andere Länder Almosenempfänger und Indien der einzige Millionär.“                (Mark Twain)


Foto: Olaf Krüger

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von Olaf Krüger

Valapparmabil Kochunni Soman ist nicht nur einer der bekanntesten Enthüllungs-Journalisten Keralas, er ist auch ein ausgemachter Kenner des kleinen Bundesstaates im äußersten Südwesten Indiens. Immer wieder hat er mir vom Pooram-Fest erzählt, das die Menschen um Thrissur, mitten im Herzen Keralas, Jahr für Jahr in einen Ausnahmezustand versetzt. Lange hatte mich die Jahreszeit, in der das Fest stattfindet von der Malabar-Küste ferngehalten. Ausgerechnet Ende April, wenn das Thermometer auf über vierzig Grad steigen kann und die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist wie in einem Gewächshaus, feiern die Keralesen Pooram, das Fest der goldenen Elefanten.

 

„Du musst die Begeisterung der Menschen spüren können! Die Hitze, die Ekstase, die unvergleichliche Dynamik des Festes!“ Somans Augen leuchten, denn wie die meisten Inder, lässt auch er keine Gelegenheit aus, ein Fest zu feiern! Kaum ein Tag vergeht in diesem Land kontinentaler Größe, an dem es nicht einen Gott zu ehren oder einen Heiligen zu feiern gilt. Würde nur jedem etwas größeren Fest in Indien ein Feiertag gewidmet, stünde es vermutlich schlecht um die indische Wirtschaft! Die verschiedenen Religionsgemeinschaften feiern die unterschiedlichsten Feste. Īd ul-Adha, das islamische Opferfest etwa, wird von 140 Millionen Muslimen in Indien gefeiert. Die Sikhs gedenken Guru Gobind Singh und feiern seinen Geburtstag im November.

 

Nicht nur für in Goa und Kerala lebende Christen ist Weihnachten das wichtigste Fest des Kirchenjahres. Jains, Parsen und Buddhisten – alle haben ihre eigenen Feiertage. Konkurrenzlos sind jedoch die Hindus: Pongal, Diwali, Dussehra, Holi, Shivratri oder Janmastami werden in ganz Indien gefeiert. Hinzu kommen Hunderte von regionalen Festen wie Teej in Rajasthan, die Rath Yatra in Orissa oder eben das Pooram-Fest in Kerala.

 

Wie so oft in Indien hat sich auch über die Geschichte des Pooram ein mythologischer Schleier gelegt, der schwer zu lüften ist. Fakten und fantastisch Anmutendes vermischen sich.
Pooram heißt, wörtlich übersetzt, so viel wie Zusammentreffen. Es kommt einer Begegnung auf höchster Ebene gleich, denn wer sich da trifft, das sind Götter aus verschiedenen Tempeln. Beim ältesten und traditionsreichsten Pooram-Fest Keralas, dem Arattupuzha-Pooram versammeln sich auf einer großen Festwiese 108 Götter und Göttinnen. Das besagt die Legende. Sie reisen stilvoll und herrschaftlich an, hoch oben auf dem breiten Rücken der Elefanten. In Arattupuzha erweisen sie der Hauptgottheit des 3000 Jahre alten Sree Sastha-Tempels, einer Reinkarnation Ramas, ihre Ehrerbietung. Dass es manch einen Widerspruch gibt, der den westlichen Besucher verwirren mag, versteht sich von selbst. Aber ist es wirklich wichtig, dass in diesem Jahr 71 Elefanten für den Transport von 108 Göttern zuständig sind? Ich will kein Erbsenzähler sein und verbiete mir den kleinkarierten Einwand. Es geht um Größeres.   
Sieben Tage lang entwickelt sich das Fest nach einer Dramaturgie, die sich in über tausend Jahren herausgebildet hat. Heute steht die letzte Pooram-Nacht bevor. Die Festlichkeiten werden ihren Höhepunkt erreichen.

 

Im tanzenden Licht der Fackeln rückt die Phalanx der Elefanten wieder ein paar Meter vor. Wie ein lebendes Bollwerk nähern sie sich dem Sree Sastha-Tempel. Eine wogende, hypnotisierte Menge jubelt ihnen zu. Hoch über Arattupuzha leuchtet der weiße Vollmond aus dem sternenklaren Nachthimmel, ein stiller und ferner Beobachter.    
Die frühen Morgenstunden habe ich wie in Trance erlebt. Seit fast zehn Stunden sind Soman und ich in Arattupuzha. Erschöpft und müde, aber gleichzeitig aufgeputscht durch das alles durchdringende Klangspektakel des Panchavadyam, lasse ich mich durch die Nacht treiben. Gibt es ein Orchester, das es mit diesem aufnehmen könnte? Zweihundert Trommler aus der Kaste der Maras bringen die Erde zum Vibrieren. Klangwellen branden durch die Nacht, brechen sich an der breiten Front der Elefanten und werden zurückgeworfen ins Publikum. Es ist, als werde mein Herzschlag gezwungen, sich der unerbittlichen, fast gewalttätigen Heftigkeit der Rhythmen anzupassen. Die freigesetzte Energie lässt mich nach Luft schnappen, meine Trommelfelle schmerzen.
Die Musik begleitet eine eigentümliche Inszenierung: hoch oben auf den Elefantenrücken bewegen sich Priester nach einer immer gleichen Choreographie. Synchron zum Rhythmus der Musik schwingen sie Wedel und Fächer. Über ihnen thronen reich verzierte Schirme - Schutz und Ehrerbietung für imaginäre und tatsächliche Gottheiten.
Plötzlich bricht die Musik ab und eine Explosion erschüttert die Festwiese. Weitere, markerschütternde Kanonenschläge folgen. Die Menschen jubeln. Rauch steigt auf und wird vom Wind davongetragen. Es riecht verbrannt. Teile des Festplatzes sind vermint wie ein Kriegsschauplatz und es grenzt an ein Wunder, dass nicht mehr passiert, denn die Pyrotechniker - oder sind es eher  Pyromanen? - arbeiten todesverachtend ohne jede Sicherheitsvorkehrung. Kurz vor Morgengrauen wird das Hauptfeuerwerk gezündet. Etwas Vergleichbares habe ich noch nicht erlebt! Ich ergreife die Flucht. Soman lacht und winkt mir zu. Später sehe ich, dass Teile der Wiese aussehen, als wären sie mit dem Pflug beackert worden.

 

Die Trommeln schweigen. Müde Männer mit seltsam gebogenen Blasinstrumenten stehen vor goldglänzenden Elefanten und spielen das Abschiedslied. Nach sieben Tagen Pooram hat dieser Abgesang etwas Melancholisches, vergleichbar mit einem schwermütigen Südstaaten-Blues.
Soman und ich trinken den ersten Tee des jungen Tages. Zusammen mit ein paar hundert Gläubigen laufen wir schließlich  zum Fluss hinunter, wo die Hauptgottheit des Sree Sastha-Tempel von Brahmanen gebadet werden soll. Dutzende von Priestern bereiten sich mit Akribie und Pathos darauf vor. Monotone Stimmen murmeln Mantras, Feuer werden entzündet und in einem großen Topf köcheln Kokusnussmilch, Bananen und Zucker - Opfergaben für Rama. Im Fluss stehen geduldig wartend die Gläubigen. Die Spannung ist greifbar. Endlich steigt der Oberpriester die wenigen Treppen zum Wasser hinunter. Alle Augen heften sich auf die kleine Götterstatue, die ihm nun gereicht wird. In dem Moment als er sie ins Wasser taucht, nehmen auch die Menschen ihr heiliges Bad. So sind sie sich des Segens der Gottheit gewiss.
Oberhalb des Flusses, an einer Böschung, stehen vier mächtige Elefanten mit gewaltigen Stoßzähnen. Ihr prächtiger Kopfschmuck reflektiert die Strahlen der aufgehenden Sonne.
Das Arattupuzha-Pooram ist zu Ende.

 

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